Die Neujahrsansprache des Vorsitzenden des Presbyteriums, Jürgen Lindemann

 

„Engagieren wir uns mit unseren Fähigkeiten und Kräften für ein lebenswertes Ratingen auch im Jahre 2020. Haben wir die Hoffnung, dass unser Wirken segensreich sein kann“, sagte Jürgen Lindemann, Vorsitzender des Ratinger Presbyteriums auf dem ökumenischen Neujahrsempfang am 24. Januar in Ratingen-Mitte.

Hier die Rede im Wortlaut:

 

Hoffnung in einer zerrissenen Welt

 

So gegensätzlich wie im Titel meiner Ausführungen angeklungen, habe ich auch das vergangene Jahr empfunden.

Hier in Ratingen habe ich erfreuliche Sachen erlebt.

Da hat sich in der Gemeinde eine Nachhaltigkeitsgruppe gebildet. Sie besteht vorwiegend aus Jugendlichen. Und sie hat es geschafft, frischen Wind gerade in Bezug auf die Bewahrung der Schöpfung in die Gemeinde zu bringen. Vorschläge zur Energieeinsparung, sie werden in der Gemeinde umgesetzt. Es wurden Flächen gesucht, die artenschutzreich bepflanzt werden.

Fridays for Future haben die Kirchengemeinde als Partner akzeptiert. Ich habe 15 Erwachsenenorganisationen zu einem Unterstützeraufruf zusammengebracht. Beim Demonstrationszug Ende September hat man vor der Kirche Halt zu einer kurzen Andacht gemacht. Fridays for future war Inhalt des Reformationsmahles und ist Hauptthema des nächsten Gemeindebriefes. In Ratingen hat sich ein Netzwerk Ratingen Nachhaltig gegründet und hat in kurzer Zeit die Stadt aufgemischt. Viele Personen beteiligen sich, einige Gruppen sind entstanden. Die Stadt zieht mit, das Thema Nachhaltigkeit war Thema des Neujahrsempfanges des Bürgermeisters. Der ökumenische Pfingstgottesdienst in der ZeltZeit soll das Thema Nachhaltigkeit aufgreifen und Startpunkt der Woche der Nachhaltigkeit in Ratingen werden.

Weitet sich aber der Blick, kann mir angst und bange werden. In Deutschland reden wir viel vom Klimaschutz, und gleichzeitig steigen die Verkaufszahlen von SUV. Und dies ist mit dafür verantwortlich, dass die CO2-Emissionen im Verkehrssektor in den letzten Jahren gestiegen sind. SUV sind für mich ein Luxusgut, die allermeisten brauchen sie nicht für die Auto-Mobilität, und wer angesichts des hohen CO2-Ausstoßes sich einen anschafft, muss sich die Frage stellen lassen, wie ernst er es mit dem Klimaschutz meint.

Weltweit gesehen haben die Leugner des Klimaschutzes ein großes Gewicht. Die für die CO2-Speicherung  wichtigen Wälder brennen in Brasilien und Australien. Das Sterben der Arten geht unvermindert weiter.

Gerechtigkeit. Ist Europa mit Engagement auf dem Weg, gleichberechtigte Handelsbeziehungen mit den armen Ländern des Südens aufzubauen? Haben wir eine durchgreifende Konzeption, um das Leben in diesen Ländern zu verbessern? Oder werden Menschen weiterhin aus Not versuchen, nach Europa zu kommen, und im Mittelmeer ertrinken?

Der Ausbau der Elektromobilität. Wenn es läuft wie bisher, erkaufen wir unsere CO2-Einsparungen durch unmenschliche Arbeitsbedingungen in den Ländern, in denen die für die Batterie notwendigen Rohstoffe abgebaut werden. Sind wir bereit zu fairen Lieferketten, zu verstärkter Elektromobilität nur dann, wenn Rohstoffe unter fairen Voraussetzungen abgebaut werden?

Die Kriege insbesondere im Nahen Osten toben weiter mit hoher Heftigkeit. Oft sind es Stellvertreterkriege. Die Bevölkerung leidet, weil größere Mächte in ihrem Land Bürgerkriegsparteien ausrüsten und unterstützen. Und immer mehr heiligt der Zweck die Mittel. Als die USA einen iranischen General töteten, wurde spekuliert, ob dies taktisch klug war. Dass dies eindeutig  völkerrechtswidrig war, wurde kaum angemerkt.

Und in Deutschland wird der innere Unfriede immer stärker. In Halle ein Angriff auf eine Synagoge und Schüsse auf ein Parteibüro. Die Ermordung von Walter Lübke. Die zunehmende Bedrohung von Lokalpolitikern.

Gehören solche Ausführungen heute auf einen Empfang? Wo ist die Hoffnung, die ich angekündigt hatte? Ich will deutlich machen, dass für mich mein Handeln nicht erfolgreich sein kann, wenn ich schlechte Nachrichten verdränge. Dies lähmt nur. Die schlechten Ereignisse sehen, aber mich davon nicht unterkriegen zu lassen, das ist wichtig. Sondern trotzdem die Kraft zum Engagement dort zu haben, wo ich einen Beitrag zu mehr Mitmenschlichkeit leisten kann. Das kann in der Unterstützung von Aktivitäten Anderer in der Welt sein, wie es beispielsweise Amnesty International durch Briefketten macht. Es wird aber in erster Linie mein Handeln für ein menschlicheres und nachhaltiges Ratingen sein. Hier kann ich etwas verbessern. Uns allen werden gleich Gelegenheiten einfallen, bei denen wir uns aus Liebe zu Mensch und Umwelt schon engagieren oder uns engagieren könnten.

Woher nehme ich die Kraft zu meinem vielfältigen Engagement, obwohl ich sehe, wie viel Leid in der Welt geschieht? Warum lasse ich mich auch durch Misserfolge nicht davon abbringen? Weil ich es früher auch schon anders erlebt habe, kann ich für mich überzeugt sagen: Vor allem, weil ich Christ bin. Der Glaube sagt mir, dass ich nicht allein in meinem Einsatz hier bin, sondern jemand an meiner Seite steht und mich stärkt und auffängt. Der Glaube sagt mir, dass ich nicht verantwortlich bin für die Rettung der ganzen Welt. Gott wird Menschen in aller Welt stärken. Und es gibt ja auch hoffnungsvolle Aktivitäten in den betroffenen Ländern gegen das Schlechte. Und vielleicht ist die Gesamtbilanz ja besser und hoffnungsvoller als ich sie geschildert habe. Vielleicht wächst das gute überall dort, ohne dass wir es wahrnehmen.

Und ein letztes. Sicher ist vielfältiges Ehrenamt oft anstrengend. Aber es bedeutet keineswegs nur Handeln für Andere aus Liebe zu den Mitmenschen. Ich bekomme sehr viel Lebensfreude zurück. Gerade wenn ich mich auch über kleine Dinge freuen kann. Dann tut es mir gut, wenn ich etwas erfolgreich bewirkt habe. Dann tut es mir gut, wenn ich zwar gescheitert bin, aber gleichzeitig die Dankbarkeit der Menschen spüre, die es wie ich für wichtig gehalten haben, sich für eine bestimmte Sache einzusetzen. Das Lob, etwas gut gemacht zu haben, kann aufbauen. Und dann kann ich auch damit leben, wenn weniger Menschen als erhofft teilgenommen haben, weil es auch dann positive Auswirkungen haben kann.

Deswegen meine Bitte: Engagieren wir uns mit unseren Fähigkeiten und Kräften für ein lebenswertes Ratingen auch im Jahre 2020. Haben wir die Hoffnung, dass unser Wirken segensreich sein kann.

Ich möchte schließen mit 3 Sätzen, die ich im Interview mit Pater Amselm Grün gelesen habe, und die das Gesagte für mich gut zusammenfassen:

- Wage das Leben

- Glaube daran, dass Du wichtig bist

- Vertraue darauf, dass Gottes Segen Dich begleitet.